Kritik zu Asteroid City | epd Film (2024)

In einer rasanten Fahrt auf einem jener kilometerlangen Güterzüge, die durch die weiten Landschaften der USA fahren, nimmt uns Wes Anderson mit in seine ureigene Vision eines Wüstenkaffs im amerikanischen Südwesten. Wir schreiben das Jahr 1955, und hinter all den Waggons voller Luxusgüter wie Grapefruits, Pekannüssen oder auch Pontiacs zuckelt auch eine Rakete mit Nuklearsprengkopf ganz unschuldig durch die Wüste. Wenn in dieser Landschaft am Horizont gelegentlich eine pilzförmige Rauchsäule in den Himmel steigt, dann ist das kein Grund zur Beunruhigung, sondern nur ein weiterer Atomtest.

Asteroid Cityselbst, mitten in der Wüste gelegen, 87 Einwohner, ist ebenso archetypisch amerikanisch wie auch typisch Wes Anderson – ein in wunderbare, perfekt aufeinander abgestimmte Pastelltöne getauchtes Diorama voller skurriler Figuren, die in elegant getimten Choreographien in Szene gesetzt sind. Von Anfang an ist das Kaff explizit ein Ort der puren Imagination: Dem Trip in die Wüste geht bereits eine zweifache narrative Verschachtelung voran: Ein TV-Programm aus den 1950ern in Schwarzweiß, mit Bryan Cranston als Moderator, verspricht uns einen Blick hinter die Kulissen einer Theaterproduktion. Das Stück, dessen Entstehung wir verfolgen, und das zugleich als perfekte Illusion vor uns ersteht, heißt »Asteroid City«. Für die Laufzeit des Films switcht die Erzählung immer mal wieder von Ebene zu Ebene – wir sind außerhalb und innerhalb des Stücks. Anderson-»Skeptiker« werden seinen neuen Film vermutlich schon nach wenigen Minuten hassen; die Spielereien mit den Metaebenen wirken tatsächlich etwas überkandidelt. So droht der Film an einigen Stellen wie ein allzu sehr aufgegangenes Soufflé in sich zusammenzufallen.

Kritik zu Asteroid City | epd Film (1)

© Pop. 87 Productions / Focus Features

Andererseits bringt Anderson mit dieser komplexen Konstruktion zwei gegensätzliche Welten zu spannender Konfrontation: die großstädtische Ostküste mit dem damals blühenden Theaterleben, und den dünn besiedelten Südwesten mit Cowboy-Romantik und militärischen Sperrgebieten. Die politische Paranoia jener Zeit fließt in die fiktive Welt ebenso ein wie eine ungebrochene Technikbegeisterung und die Anziehungskraft unendlicher Weiten da draußen im All.

Es sind die »Junior Stargazer«-Festlichkeiten, die eine illustre Gesellschaft in Asteroid Cityzusammenbringen, um den Jahrestag eines Meteoriteneinschlags am (erstaunlich exakt dokumentierten) 27. September 3007 v. Chr. zu begehen. Im Mittelpunkt stehen Anderson-Stammschauspieler Jason Schwartzman als Kriegsfotograf Augie Steenbeck, angereist mit seinen drei kleinen Töchtern und seinem melancholischen Sohn Woodrow, und Scarlett Johansson als Filmstar Midge Campbell, mit Tochter Dinah vor Ort. Tragik und Komik gehen wie so oft bei Anderson Hand in Hand. So ringt Augie nicht nur mit der Trauer um seine gerade verstorbene Frau, er muss deren Tod auch erst noch den Kindern offenbaren. Immerhin hat er ihre Asche in einer handlichen Tupperware-Dose dabei, sodass die drei kleinen Töchter sie in einer Art Hexenritual zu Grabe tragen können.

Das lakonisch-nuancierte Spiel der Hauptfiguren ist eingebettet in ein überaus illustres Ensemble, in dem zwar erstmals Bill Murray fehlt, das aber zum Ausgleich mit vielen Stars aufwartet, darunter Tom Hanks, Liev Schreiber, Edward Norton, Jeffrey Wright, Tilda Swinton, Rupert Friend, Matt Dillon, Margot Robbie, Adrien Brody, Willem Dafoe, Steve Carrell und Hope Davis. Abermals erweisen sich schon die Namen der Protagonisten als Quell der Freude für den geneigten Rezipienten: Nur bei Wes Anderson begegnen wir Gestalten, die Schubert Green, Saltzburg Keitel oder, besonders ausgefuchst, Mercedes Ford heißen.

Kritik zu Asteroid City | epd Film (2)

© Pop. 87 Productions / Focus Features

Bei allem Spaß und Spiel jedoch sind es auch diesmal, vergleichbar etwa »Grand Budapest Hotel«, die ernsten Untertöne, die den Film vor überästhetisierter Sterilität bewahren, die vielen wunderlichen Vignetten zusammenhalten und der Andersonschen Hermetik erst Tiefe verleihen. So fällt zwar das handlungsauslösende Moment eines Alien-Besuchs drollig aus, während aber die daraufhin verhängte Quarantäne durch das Militär alle Anwesenden auf unbegrenzte Zeit in Asteroid City festhält, verdichten sich Motivstränge, in denen es um die Angst vor dem Fremden geht, um Kontrollverlust und die Frage nach Orientierung in einer Welt, die immer chaotischer zu werden scheint. Obwohl der Film in einer Zeit spielt, in der »die USA noch keinen Krieg verloren haben«, wie es einmal heißt, verhandelt er so zwischen zahllosen 1950er-Jahre-Anspielungen vom »Roswell-Incident« bis Actor's Studio und filmischen Verweisen beispielsweise auf Steven Spielberg auch ganz zeitlose bis ziemlich aktuelle Fragen.

Und während sich die perfekt durchgestylten schwungvollen Szenen sozusagen die Klinke in die Hand geben – inklusive einer phantastischen musikalischen Einlage mit dem Song »Dear Alien« – sind es doch die intimen, emotionalen Momente, die nachhallen und in denen der Film sein eigentliches Zentrum findet. Insbesondere ein paar mit wunderbarer Ruhe inszenierte Flirtszenen stechen da heraus, beispielsweise zwischen Augies Sohn Woodrow (Jake Ryan) und Midges Tochter Dinah (Grace Edwards), während sie in der Sternwarte von Asteroid City am Teleskop stehen und unter dem bestirnten Himmel ungeahnte Gemeinsamkeiten entdecken. Wes Anderson beweist hier ein weiteres Mal sein Gespür für jugendliche Befindlichkeiten mit Sätzen wie »Manchmal denke ich, ich würde mich außerhalb der Erdatmosphäre wohler fühlen«.

Über solche konzentrierten Momente erschließt sich auch am besten, was Anderson als das Ziel für diesen Film beschreibt: Er solle »ein wenig an ein Gedicht erinnern, eine poetische Reflexion sein«. Das gelingt nicht durchweg, doch in einigen Passagen löst sich »Asteroid City« mit bezaubernder, schwebender Anmut aus allen Fesseln, sogar denen der eigenen Ästhetik.

Kritik zu Asteroid City | epd Film (2024)

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